100 Jahre SPD Bischofsheim

Die Vision von der Roten Rhön (Bericht von Thomas Pfeuffer/ Main-Post vom 19.08.2011)

Vor genau einem Jahrhundert gründeten 24 Mitglieder den ersten SPD-Ortsverein in der Region

Es war nicht nur für Bischofsheim, sondern für die Region ein schicksalsträchtiger Tag. Für Vertreter der Kirche und des katholischen Zentrums war es wohl eine Katastrophe, für viele Arbeiter ein Hoffnungsschimmer: Am 8. September 1911 wurde in Bischofsheim der erste SPD-Ortsverein in der gesamten Region gegründet.

Bis es vor genau 100 Jahren so weit war, galt es große Schwierigkeiten zu bewältigen. Wie Albrecht Finger in seiner Chronik zum 100. Geburtstag der Bischofsheimer SPD schreibt (wir berichteten), war es zum einen die Geistlichkeit, die das Aufkommen sozialdemokratischen Gedankenguts erschwerte, indem sie den Gläubigen verbot, Versammlungen ihrer „Todfeinde“ zu besuchen. Zum andern gingen örtliche Zeitungen mit keiner Zeile auf irgendwelche sozialdemokratischen Bestrebungen ein.

Abgeschiedenheit als Problem Schließlich waren es so banale Gegebenheiten, wie die kaum vorhandenen Verkehrswege, die es Genossen aus Schweinfurt erschwerten, in die Region zu gelangen, um hier für ihre Ideen zu werben. So blieb der Reichstagswahlkreis Neustadt/Kissingen bis zu jenem 8. September der einzige in Franken ohne sozialdemokratischen Ortsverein.

Dennoch gewann das sozialdemokratische Gedankengut an Boden. So sind in der Statistik von 1907 insgesamt 60 SPD-Mitglieder in der Rhön registriert. Josef Kirchner gilt als ältestes SPD-Mitglied in Bischofsheim. Der Hoteldiener, der nach dem Zweiten Weltkrieg Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister war, trat der Partei 1905 bei.

Sozialen Zündstoff, der wohl mit zur Gründung der SPD geführt haben dürfte, gab es aber auch in Bischofsheim. 1909 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung der Steinarbeiter mit dem Basaltwerk. Die Steinbruchbesitzer starteten Gegenmaßnahmen. So plante die Firmenleitung – obwohl es genug einheimische Arbeitssuchende gab – zwölf Kroaten zu beschäftigen, um die ohnehin schlechten Akkordlöhne weiter zu drücken.

Neben den Steinarbeitern, so beschreibt es Finger in seiner Chronik, zählten vermutlich die Brauereiarbeiter zu den ersten gewerkschaftlich Organisierten und damit zur Basis der Sozialdemokraten im Bischofsheim des Kaiserreichs.

Am 8. September 1911 war es so weit. In Bischofsheim wurde der erste sozialdemokratische Verein im Bezirksamt Neustadt aus der Taufe gehoben. Zum Vorsitzenden wurde der Arbeiter Richard Dreisch gewählt, Schriftführer wurde Adam Korb. Als Kassier fungierte Joseph Büchner, Revisoren waren die Genossen Ambros Hergenröther und der Schneidermeister Johann Eckardt. Das Versammlungslokal war die Gastwirtschaft „Zum Stern“, die von Sebastian Roth geführt wurde, der wahrscheinlich zum Ortsverein gehörte.

Wie Finger aus Neustädter Polizeiakten zitiert, war es Aufgabe des neuen Vereins „...im Anschluss an die Organisation der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bayerns für die Grundsätze und Bestrebungen der SPD für politische und wirtschaftliche Aufklärung zu wirken und bei Wahlen die Kandidaten der SPD zu unterstützen“.

Das gelang allerdings zunächst eher schlecht. Bei der Reichstagswahl 1912 kamen die Sozialdemokraten im gesamten Bezirksamt Neustadt auf 266 Stimmen, was einen Stimmenanteil von 3,3 Prozent bedeutet. Gegenüber der Wahl 1908 bedeutete dies zwar eine Verdreifachung. „Aber was bedeutet schon ein Zuwachs von einem auf 3,3 Prozent?“, fragt Finger in seiner Chronik.

Allerdings ist zu erwähnen, dass viele sozialdemokratische Arbeiter damals über kein Stimmrecht verfügten. Das Dreiklassenwahlrecht teilte nämlich die Stimmberechtigten nach Steueraufkommen ein. Die meisten Arbeiter kamen noch nicht einmal in die unterste Klasse.

In der Folge erlebte die Bischofsheimer SPD viele Höhen und Tiefen. Nachdem sie im Ersten Weltkrieg fast verschwunden war, erhielt sie bei der Wahl zur Nationalversammlung 1919 gemeinsam mit der abgespaltenen USPD fast 50 Prozent der Stimmen.

Die Nationalsozialisten spielten in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens in Bischofsheim kaum eine Rolle. Erst in der März-Wahl 1933 erreichte die NSDAP mit 31 Prozent mehr Stimmen in Bischofsheim als die SPD mit knapp 24 Prozent. Im Juni 1933 wurde die Partei verboten. Die beiden Mitglieder im Stadtrat wurden gezwungen ihre Mandate niederzulegen. Nach dem Ende der Nazi-Diktatur wurde der Ortsverband am 20. Januar 1946 wiedergegründet. SPD-Mitglieder spielten in den Nachkriegsjahren wichtige Rollen beim Wiederaufbau in Bischofsheim. Von 1952 bis 1960 und von 1966 bis 1972 stellten sie mit Ferdinand Krenzer und Hans Repp sogar den Bürgermeister.

Integration der Vertriebenen Als herausragende gesellschaftliche Leistung der Sozialdemokraten vor Ort muss dabei die Integration der zahlreichen Flüchtlinge und Heimatvertriebenen angesehen werden. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stand für die SPD-Stadträte die Arbeitsplatzbeschaffung. Denn vom sogenannten Wirtschaftswunder war in Bischofsheim, das oft als Notstandsgebiet der Rhön bezeichnet wurde, so gut wie nichts zu spüren. Viele Projekte, wie die Industrieansiedlung durch die Firma Siemens oder die Stationierung einer Bundeswehr-Garnison, blieben Wunschdenken. Die SPD-Genossen prangerten hier oft das fehlende Engagement der CSU-geführten Regierung in München an.

Heute versucht der Ortsverein Bischofsheim den Gedankenaustausch mit den umliegenden Rhöner Ortsvereinen, auch länderübergreifend mit den Genossen aus Hessen und Thüringen, im Rahmen der Initiative „Rote Rhön“ voranzutreiben.